Erreger und Epidemiologie
Die Tollwut oder auch Wutkrankheit genannt (engl.: rabies) ist eine akute Infektion, die durch Tollwut-Viren (Rabies-Viren) aus der Familie der Rhabdoviridae übertragen wird und ist eine der am längsten bekannten Infektionskrankheiten (Baer G.M. et al., 1991). Die Tollwuterreger können durch den Speichel infizierter Tiere auf den Menschen oder auf andere Tiere übertragen werden. Die Übertragung erfolgt meistens durch einen Biss, kann aber auch durch infektiösen Speichel zustande kommen, der in Wunden wie Kratz- und Schürfwunden oder direkt auf die Schleimhäute gelangt.

Die geographische Verbreitung der Tollwut bei Tieren kommt aufgrund der Wanderungsbewegungen von fleisch- fressenden Tieren weltweit und in allen Klimazonen der Erde vor. In Ländern, die über keine Impfprogramme gegen Tollwut für die dortige Hundepopulation verfügen, ist der Hund in mehr als 95 % der Tollwutfälle die Infektionsquelle für den Menschen. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jedes Jahr mehr als 55.000 Menschen an der Infektion, obwohl bei rechtzeitigem Beginn mit einer medikamentösen Postexpositionsprophylaxe (PEP) der Ausbruch der Erkrankung effektiv verhindert werden kann. In diesem Zusammenhang erhalten mehr als 15 Millionen Menschen pro Jahr eine PEP, womit allein in Afrika und Asien Schätzungen zufolge etwa 327.000 Menschen jährlich das Leben gerettet werden kann (Knobel DL et. al. Bull. WHO 2005).
Deutschland gilt nach den Kriterien der WHO seit 2008 als frei von Tollwut durch das Rabies-Virus. Es
zählt jedoch in Europa zu den Ländern mit den häufigsten Tollwutfällen von Fledermäusen, die durch
Fledermaus-spezifische Tollwutviren (Lyssa-Viren) verursacht werden. Diese können auch auf den
Menschen übertragen werden (RKI 08/2018).
In Deutschland wurden zwischen 2001 bis 2017 insgesamt
sechs importierte Tollwuterkrankungen gemeldet, die allesamt tödlich verliefen (RKI Jahrbuch 2017). In
Staaten mit konsequenten Impfprogrammen für Haustiere und insbesondere für den Hund ist die Inzidenz,
d. h. die Anzahl von Neuerkrankungen, der Tollwut gering. Als Reservoire für das Tollwutvirus kommen
auch viele unterschiedliche Wildtiere in Frage wie blutsaugende Fledermäuse, Stinktiere, Füchse und
Affen.
Krankheitsverlauf
Das Krankheitsbild der Tollwut verläuft nach einer Inkubationszeit (Tierkontakt bis zum Beginn der
ersten Symptome) von 3 bis 8 Wochen phasenweise. Initiale Symptome umfassen unspezifische allgemeine
Symptome wie Müdigkeit, Teilnahmslosigkeit, Bauchschmerzen sowie Rachen- und Nackenschmerzen.
Brennen, Taubheitsgefühl, Stechen und Schmerzgefühl an der Bissstelle oder an einer völlig
anderen Körperstelle sind für eine frühe Tollwutinfektion wegweisend (Lang W &
Löscher T, 2000). Stunden oder Tage nach dem Biss bzw. entsprechendem Infektionsmodus beginnt die
neurologische Phase, in der es zu Symptomen des Nervensystems kommt. Diese Phase führt meist innerhalb
von 7 Tagen oder auch in 2-3 Wochen zum Tod. Wechselnde Bewusstseins- störungen mit Perioden
schwerer Agitation (Aufregung), Verwirrtheit und Desorientiertheit und jener relativ normalen
Verhaltens, an das sich die Patienten häufig nicht erinnern, sind in dieser Krankheitsphase präsent
(Rupprecht CE et al., 1994). Mit fortschreitender Krankheit nimmt die Verwirrung immer mehr zu und
wilde Bewegungen, Krämpfe und Aggressionen gehen schließlich in nachlassendes Bewusstsein, Lähmungen
und Koma über. Die ausgeprägte und bizarr anmutende Angst vor Licht, Luft und Wasser, in der Medizin
als Photophobie, Aerophobie und Hydrophobie bezeichnet, kommt bei allen Patienten in dieser Phase der
Erkrankung vor (Thraenhart OE et al., 1994). Weiterhin kommt es zur Dysfunktion des vegetativen
Nervensystems mit ausgeprägtem Speichelfluss und Schwitzen. Schließlich kommt es in der Endphase der
Erkrankung zu schweren Symptomen des Atmungs- und Kreislaufsystems mit nicht mehr therapeutisch zu
beeinflussendem Versagen des Herz-Kreislaufsystems als primäre Todesursache. Die Tollwut verläuft nach
Krankheitsbeginn wie kaum eine andere Infektionskrankheit fast immer tödlich (Warrell MJ et. al.,
2004; Bleck TP et. al., 2009). Besonders betroffen sind Kinder und eine hohe Mortalität, d. h.
Sterblichkeitsrate, wird häufig bei schweren Kopfverletzungen beobachtet.
Exposition und Behandlung
Die Antwort auf die Frage, ob eine Tollwutexposition vorliegt, hängt laut Expertenkomitee der WHO von folgenden Faktoren ab:
- Welcher Art war der Tierkontakt und welcher Spezies gehört das Tier an?
- Gibt es Tollwut in dem Gebiet, wo die Exposition stattfand oder woher das Tier, zu dem Kontakt bestand, stammte?
- Sind Ergebnisse von Laboruntersuchungen verfügbar oder zu erwarten, ist das Tier unter Aufsicht und ist der Impfstatus des Tiers nachprüfbar?
Kommt es im Rahmen einer Reise zu einer Bissverletzung sollte in jedem Fall dringend ein Arzt aufgesucht und die aqua med Notrufhotline kontaktiert werden. Kontaminierte Körperstellen und alle Wunden sind unverzüglich großzügig mit Seife oder entsprechenden Reinigungsmitteln zu reinigen, mit Wasser gründlich für mindestens 10 Minuten zu spülen und mit 70%-igem Alkohol oder einem Jodpräparat zu behandeln. Wunden sollten wenn möglich primär nicht genäht werden.
Wenn ein Tier, zu dem Kontakt bestand, ein anerkannter Vektor (Überträger) für Tollwut in einem Gebiet ist, wo die Exposition erfolgte und wenn eine Exposition der Kategorie II und III (s. u.) erfolgte, sollte unverzüglich mit der Behandlung begonnen und nicht auf die Bestätigung der Infektion beim Tier gewartet werden, da dadurch wertvolle Zeit verloren geht. Bei gegebener Indikation ist eine sogenannte Immunprophylaxe unverzüglich durchzuführen. Wird der Tollwutverdacht beim Tier durch tierärztliche Untersuchung entkräftet, kann die unten genannte Impfserie abgebrochen oder als Schutzimpfung weitergeführt werden.
Personen, die eine vollständige präexpositionelle Schutzimpfung (3 Impfungen) erhalten haben, sind weitestgehend geschützt. Für diesen Personenkreis werden zeitnah zwei weitere Tollwut-Impfungen an Tag 0 und 3 notwendig.
Bei ungeimpften Patienten wird gemäß folgendem für Reisende vereinfachten Schema in Tabelle I entsprechend dem Grad der Exposition (I. - III.) behandelt:
Grad der |
Art der Exposition durch ein tollwutverdächtiges oder tollwütiges Wild- oder Haustier oder eine Fledermaus |
I |
Berühren bzw. Füttern von Tieren, Belecken der intakten Haut. |
II |
Nicht blutende, oberflächliche Kratzer oder Hautabschürfungen, Lecken oder Knabbern an der nicht intakten Haut. |
III |
Bissverletzungen oder Kratzwunden, |
Tabelle 1: Modifizierte Übersicht zur Tollwut-Postexpositionsprophylaxe basierend auf den Empfehlungen der STIKO des RKIs (P. Stahl, 2019)
Bei Expositionsgrad I ist keine Impfung notwendig und die o. g. Erstmaßnahmen zur Wundreinigung sind durchzu- führen. Ab Expositionsgrad II erfolgt die aktive Immunisierung in den Oberarmmuskel mittels Tollwut-Totimpfstoff mit jeweils einer Impfdosis an den Tagen 0, 3, 7, 14 und 30 (Essen-Schema). Die Anwendung des von der WHO empfohlenen Essen-Schemas führt bei korrekt durchgeführten Impfungen in jedem Fall zur Verhütung der Tollwutinfektion. Voraussetzung ist die frühestmögliche Impfung nach Tierkontakt und vor dem Auftreten erster Tollwut-typischen Symptome.
Bei Expositionsgrad III wird zusätzlich zur o. g. aktiven Immunisierung (Essen-Schema) eine passive Immunisierung mit Tollwut-Immunglobulin, d. h. bereits in Mensch oder Pferd erzeugten Antikörpern, gegen das Tollwutvirus durchgeführt. Bei Vorliegen einer frischen Bisswunde ist so viel vom Tollwut-Immunglobulin wie möglich in und um die Biss- oder Kratzwunde herum zu verabreichen. Der Rest des passiven Impfstoffes wird in den anderen Oberarmmuskel injiziert. Aufgrund der großen zeitlichen Spannbreite der Inkubationszeit, die in Ausnahmefällen zwischen weniger als 10 Tagen und mehr als 1 Jahr betragen kann, ist bei begründetem Verdacht die o.g. PEP auch noch Wochen bis Monate nach der Exposition sinnvoll. Weiterhin erfolgen unterstützende und symptomatische Therapiemaßnahmen wie Stillung vorhandener Schmerzen, intravenöse Flüssigkeitsgabe und ggf. die Gabe von Beruhigungsmitteln.
Prävention
Im Rahmen der Prävention ist bei Reisen der beste Schutz Tierkontakte, insbesondere mit Hunden und Katzen, im Sinne einer Expositionsprophylaxe strikt zu meiden. Diese Empfehlung gilt auch für Hundewelpen. In Deutschland und weltweit gilt zudem: Hände weg von Fledermäusen! Es sollten weder lebendige, flugunfähige noch tote Fledermäuse angefasst werden.
Es ist zu beachten, dass das Tollwutvirus über den Speichel schon zu einem Zeitpunkt übertragen werden kann, zu dem klinisch noch keine Anzeichen einer Tollwut vorliegen, z. B. vermehrter Speichelfluss und Aggression beim Hund. Grundsätzlich gilt, dass die Tollwut außerhalb Europas hauptsächlich ein Problem der urbanen Zentren und nicht der ländlichen Regionen ist.
Die Tollwutschutzimpfung erfolgt entsprechend der Herstellerangaben durch eine dreimalige Impfung. Laut Empfehlungen der WHO wird seit 2007 nach kompletter und korrekt durchgeführter Grundimmunisierung keine routinemäßige Auffrischung mehr empfohlen. Präexpositionelle Impfungen sind allen Personen empfohlen, die ein hohes Risiko für eine Infektion haben, wie Touristen bei Reisen in Tollwut-Endemiegebiete und Personen, die beruflich damit in Kontakt kommen könnten. Insbesondere Kinder sollten aufgrund ihrer Größe und der damit verbundenen erhöhten Gefahr für Tierkontakt im Bereich des Kopfes sowie ihrer Neugier und mitunter fehlenden Scheu vor Tieren geimpft werden.
Zu beachten ist, dass die Notfalltherapie mit humanem Tollwutimmunglobulin extrem teuer ist und nur an wenigen Zentren weltweit überhaupt zur Verfügung steht, wie o. g. Fall zeigt. In der Regel müssen ungeimpfte Patienten deshalb nach Tollwutkontakt sofort evakuiert werden. Das bedeutet zwangsläufig eine lebensgefährliche Zeitverzögerung bis zum Beginn der notwendigen Therapie.