Druckausgleich – Tipps und Tricks vom Profi Andrea Zuccari
Bereits zum zweiten Mal war Andrea Zuccari Gastmoderator in einem unserer aqua med Webinare. Das Thema war auch dieses Mal der Druckausgleich beim Gerätetauchen. Als versierter Geräte- sowie Apnoetaucher kennt Andrea alle Tücken und Fallen, die einem das Abtauchen zum „Ohrproblem“ werden lassen. Durch anatomische Studien, Druckmessungen und Funktionsprüfungen konnte Andrea die Voraussetzungen und Techniken eines erfolgreichen Druckausgleichs bis zur Perfektion verfeinern. Seine Workshops und Vorträge sind deshalb so beliebt, weil das Thema Druckausgleich jeden Taucher betrifft und es keinen gibt, der damit nicht schon zumindest einige paar Mal Probleme hatte.
Das übergeordnete Ziel jedes Vortrages von Andrea ist es, Bewusstsein beim Taucher für die Vorgänge im Körper während eines Druckausgleichmanövers zu schaffen. Was passiert dabei eigentlich genau?
- Welche Organe sind am Druckausgleich beteiligt?
- Wie kann ich diese Organe kontrollieren?
- Erlernen von verschiedenen Druckausgleichstechniken
Zunächst ein bisschen Anatomie:
1. Am Druckausgleich beteiligte Organe bzw. Körperstrukturen
Bei jedem aktiven Druckausgleich wird „Luft“ durch Hohlräume in das Mittelohr bewegt.
Luftgefüllte Hohlräume:
- Lunge
- Mundhöhle
- Nasen-Rachenraum
- Mittelohr
Am Druckausgleich beteiligte Organe:
- Glottis (Stimmritze, engl. glottis)
Die Stimmritze stellt den Hohlraum zwischen den am Stellknorpel befestigten Stimmbändern dar und ist mit der Lunge und der Mundhöhle verbunden.
- Zunge (engl. tongue)
Die Zunge spielt eine wichtige Rolle beim Druckausgleich, denn sie kann die Mundhöhle an verschiedenen Positionen in einen vorderen und hinteren Bereich unterteilen. Dies wird später bei den „Stimmübungen“ klarer.
- Weicher Gaumen (Palatum molle, engl. soft palate)
Der weiche Gaumen ist Teil des Mundhöhlendaches und die Fortsetzung des harten Gaumens. Er besteht aus der Uvula (dem sogenannten Zäpfchen) und dem Gaumensegel (Velum palatini). Um das Gaumensegel liegen drei kleine Muskeln. Zwei davon, nämlich der Muskulus tensor veli palatini und der Muskulus levator veli palatini, werden später nochmals gesondert erwähnt – also merken! Der gesamte weiche Gaumen spielt eine maßgebliche Rolle beim Druckausgleich, da er die Mundhöhle mit der Nasenhöhle verbindet.
- Eustach’sche Röhre (Tuba auditiva, engl. Eustachian tube)
Die Tube ist eine 30 – 35 mm lange, mit Flimmerepithel ausgekleidete, Röhre, die das Mittelohr und den Nasenrachenraum verbindet. Ohne eine ausreichende Belüftungsfunktion ist der Druckausgleich unmöglich, da dies der einzige Zugang zum Mittelohr ist. Im Normalzustand ist die Tube geschlossen, öffnet sich jedoch beim Schlucken, Gähnen oder bestimmten Lauten und natürlich beim Druckausgleich.
- Epiglottis (Kehldeckel, engl. epiglottis)
Der Kehldeckel ist eine mit Schleimhaut überzogene Knorpelplatte und verschließt beim Schlucken den Weg zur Lunge. Passiert dies nicht oder unvollständig, verschlucken wir uns und bekommen etwas „in den falschen Hals“. Die Epiglottis ist beim Druckausgleich nur beteiligt, wenn dieser durch Schlucken bewerkstelligt wird.
Nun geht es in die Praxis!
2. Kontrolle der am Druckausgleich beteiligten Organe
Durch verschiedene Atem- und Sprachübungen kann man sich die einzelnen Organe bewusst machen, damit man ein Gefühl dafür bekommt wie man diese gezielt ansteuern kann, falls es Probleme gibt.
- Glottis
Die Glottis kann entweder ganz geöffnet, fast geschlossen oder ganz geschlossen sein.
ÜBUNG 2.1:
Strecke Deine Zunge heraus und atme mit weit offenem Mund durch diesen ein und aus. Fühle, dass die Stimmritze nun offen ist.
ÜBUNG 2.2:
Sage mit geöffnetem Mund „Aaaaaaahhhhhh“ und atme dabei durch den Mund ein und aus. Bei dieser Übung ist die Stimmritze durch die schwingenden Stimmbänder fast geschlossen.
ÜBUNG 2.3:
Strecke die Zunge heraus, atme durch den Mund ein und halte danach die Luft an. Fühle, dass dabei Deine Stimmritze beim Luftanhalten schließt und vollständig geschlossen ist.
Einatmung
Luft anhalten
Weicher Gaumen
Man kann sich die Stellung des weichen Gaumens durch folgende Übungen bewusst machen:
Geöffnete Stellung
Geschlossene Stellung
ÜBUNG 2.4.:
Atme mit geöffnetem Mund durch diesen ein und aus. Die Stellung des weichen Gaumens bleibt dabei offen. Anatomisch gesehen könnte die Luft auch durch die Nase entweichen. Da der Luftraum zum Mund jedoch viel weiter und größer ist, nimmt die Ausatemluft den Weg des geringsten Widerstandes durch den Mund.
ÜBUNG 2.5:
Atme einmal durch den geöffneten Mund ein und aus und danach bei geöffnetem Mund durch die Nase ein und aus. Fühle wie sich die Stellung Deines weichen Gaumens dabei verändert. Bei Nasenatmung ist der weiche Gaumen verschlossen, da der Luftstrom sonst den Weg durch den Mund nimmt.
Wir können uns die offene und geschlossene Stellung auch durch Sagen von „Bbbbbbb“ (weicher Gaumen offen) oder „Mmmmmm“ (weicher Gaumen geschlossen) bewusst machen.
- Zunge
Die Zunge kann den Mundraum in den vorderen und hinteren Mundraum unterteilen. Das ist an drei unterschiedlichen Stellen möglich und zwar durch das Sprechen der Buchstaben T (Verschluss vorne knapp hinter den oberen Zähnen), CA (Verschluss mittig) oder des arabisch gehauchten H (Verschluss hinten – geht auch mit CH)
Der sogenannte T-Verschluss kann auch mit den Buchstaben D oder N durchgeführt werden.
Beim Tauchen kann der Mund – bedingt durch das Mundstück des Atemreglers – nicht dicht verschlossen werden. Insofern wird beim Druckausgleich mittels Valsalva-Manöver immer eine der drei möglichen Verschlussarten (T, CA oder H) durch die Zunge benutzt um die Luft aus der Lunge vom hinteren Mundraum weiter in den Nasenraum zu drücken.
ÜBUNG 2.6:
Versuche einmal das oben abgebildete T-Verschluss-Valsalva-Manöver. Wenn Du es richtig durchführst, blähen sich bei zugehaltener Nase ganz leicht Deine Nasenflügel auf – ein Zeichen, dass Du es richtig gemacht hast. Spüre dabei, dass Deine Stimmritze offen bleibt!
ÜBUNG 2.7:
Beim Druckausgleich nach Frenzel mit Zunge in T-Stellung bleibt die Stimmritze geschlossen, da die Luft zum Druckausgleich nicht aus der Lunge kommt, sondern aus dem Mundraum nach oben in den Nasenraum gedrückt wird.
Bei beiden Techniken ist der weiche Gaumen natürlich offen!
Versuche beide Druckausgleichtechniken nun mit allen unterschiedlichen Zungenverschlüssen: T, Ca und H.
ÜBUNG 2.8.:
Mache spontan Valsalva und Frenzel und spüre welchen Zungenverschluss Du dabei natürlicherweise benutzt. Der T- und Ca-Verschluss werden am häufigsten benutzt, der H- Verschluss am seltensten.
3. Druckausgleichstechniken
Die Valsalva-Technik
Antonio Maria Valsalva war ein italienischer HNO-Arzt (1666 – 1723). Die nach ihm benannte Technik sollte bei Mittelohrentzündungen die Belüftung und den Abtransport des Eiters oder Schleims aus dem Mittelohr durch die Tube begünstigen. Dabei bediente er sich der Bauchpresse, d. h. Anspannung der Bauchmuskulatur. Die Valsalva-Technik basiert ergo auf recht hohem Druck und verringert das Lungenvolumen. Die Mundhöhle wird mit dem T-, Ca- oder H-Lock verschlossen (s. o.). Dieser hohe Druck ist medizinisch nicht immer erwünscht. Wenn beispielsweise ein PFO (persistierendes Foramen ovale) vorliegt, können dadurch Mikroblasen von der rechten Herzhälfte in die arterielle linke Herzhälfte gedrückt werden und so das Risiko für eine Dekompressionserkrankung erhöhen. Zudem kann bei zu forcierten Versuchen mit der kraftvollen Bauchmuskulatur ein Ödem zum Flimmerepithel der Tube „hingedrückt“ werden. Danach ist der Druckausgleich dann nur noch schwer möglich. Bei zu hohem Druckgradienten legen sich zudem die Wände der Tube aneinander und eine Öffnung ist nicht mehr oder nur sehr erschwert möglich.
Die Frenzel-Technik
Der deutsche Luftwaffenarzt Walter Gotthold Frenzel entwickelt diese Technik für den Druckanstieg in Kampffliegern bei schneller Höhenabnahme. Diese Technik basiert auf „mechanischem Druck“, da hierbei die Luft im Mundraum durch die Zunge Richtung hinten oben in den Nasenraum gedrückt wird. Dabei kann die Zunge in der T-, Ca- oder H- Stellung sein. Die Frenzel-Technik ist eine sanfte Methode um den Druckausgleich zu bewältigen, da weniger Druck aufgebaut wird. Manchen Tauchern fällt es dadurch leichter die Tube zu öffnen. Das Risiko eines Shunts von Mikroblasen, bei vorliegendem PFO, auszulösen ist geringer als beim Valsalva-Manöver. Die Frenzel-Technik stellt jedoch keinen Schutz davor dar!
Sowohl beim Valsalva- als auch beim Frenzel-Manöver muss der weiche Gaumen natürlich offen sein und den Weg zum Nasenraum freigeben. Beim Valsalva ist die Stimmritze offen, beim Frenzel geschlossen (s. Bilder oben).
Hands Free
Für die ganz Versierten und besonders für Unterwasserfotografen ist der Hands-Free-Druckausgleich eine gute Technik, da – wie der Name bereits sagt – dabei die Hände nicht benutzt werden um die Nase zu verschließen. Die Technik ist allerdings nicht ganz einfach zu erlernen und erfordert Übung.
Je nach Durchführung unterteilt man in:
1. False
2. Toynbee
3. Pure
Da hierbei die beiden kleinen Muskeln (Tensor und Levator veli palatini) stark involviert sind, machen wir uns zunächst die anatomische Lage dieser Muskeln klar. Der Musculus levator veli palatini kommt vom Felsenbein (der Knochen hinter dem Ohr) und setzt am weichen Gaumen an, den er bei Anspannung nach hinten oben bewegt. Dabei nimmt er den Eingang der Tube mit, der sich dabei öffnet. Der Musculus tensor levi palatini kommt auch von einem Schädelknochen, dem sogenannten Keilbein und setzt am weichen Gaumen an. Wenn er in Aktion tritt, spannt er den weichen Gaumen an und versteift dabei die vordere seitliche Wand der Tube, die dadurch in geöffnetem Zustand bleibt.
Zu 1.) False
Der „False“ (= falsche) Hands-Free-Druckausgleich wird ähnlich wie der Frenzel durch die Zunge durchgeführt. Die Nase ist dabei lediglich durch die sehr festsitzende Maske verschlossen. Die Luft wird durch die in T-Stellung befindliche Zunge langsam nach hinten oben „gestempelt“. Durch das abnehmende Volumen im Mundraum steigt der Druck und die Luft entweicht über den Nasenraum Richtung Tube. Im Zusammenspiel mit den beiden kleinen Muskeln (Musculi tensor und levator veli palatini) öffnet sich die Tube und der Druckausgleich im Mittelohr kann stattfinden. Bei offenem weichen Gaumen ist die Glottis hierbei verschlossen.
Zu 2.) Toynbee
Diese Technik wurde nach dem britischen HNO-Arzt Joseph Toynbee benannt (1815 – 1866). Er fand heraus, dass die Muskeln tensor und levator veli palatini beim Schluckakt die Tube öffnen. Bei manchen Tauchern gelingt er Druckausgleich rein durch Schlucken.
Zu 3.) Pure
Mit ein bisschen Übung kann man lernen die für die Tubenöffnung verantwortlichen Muskeln bewusst anzusteuern. Das kann man durch willentliche Anspannung der Muskulatur um das Kiefergelenk und des weichen Gaumens ausprobieren. Ihr könnt auch die Kehlkopfmuskeln zu Hilfe nehmen. Das muss man ausprobieren. Bei erfolgreicher Anspannung unserer zwei kleinen Tuben-Hilfsmuskeln spürt ihr eine Druckveränderung im Mittelohr und wisst, dass es funktioniert hat.
Wir hoffen, ihr könnt durch diese Zusammenfassung des Webinars die Übungen nochmals für euch wiederholen und verfeinern. Allerdings kann dies keinen praktischen Workshop bei Andrea ersetzen, da bei der Durchführung der beschriebenen Übungen die Erfolgskontrolle fehlt! Gute Tipps und Anleitungen bekommt ihr auch auf Andreas DVD, die ihr bei Uwe Kiehl (unter uk-germany.com) bestellen könnt.
Auf der YouTube Seite von Andrea Zuccari findet ihr einige interessante Videos: