War dies denn nun ein Tiefenrausch?
Die Symptome des Tiefenrausches sowie dessen Ursachen sind in der Literatur hinlänglich und schillernd beschrieben.
Mancher Taucher ist neugierig wie sich das anfühlt, wenn er/sie noch niemals einen Tiefenrausch erlebt hat. Ist denn die Wirkung des Stickstoffs wirklich so euphorisierend oder einschränkend? Und wo liegt die persönliche Grenze? Kontrollierte Tieftauchsimulationen in einer Druckkammer sind eine mögliche Option dies – nicht ohne Risiken – aber deutlich kontrollierter als im Wasser auszutesten. Solche Simulationen können entweder in Luft oder auch nass, wie z. B. in einem Tauchturm, durchgeführt werden. Befragt man die Taucher nach einer solchen Simulation zu der eigenen subjektiven Einschätzung ihrer individuellen Reaktion auf den erhöhten Stickstoffpartialdruck (bei 50 Meter immerhin 4,68 bar), bekommt man natürlicherweise subjektive Aussagen. Eine objektive Selbsteinschätzung ist – wie auch bei anderen „Rauschmitteln“ – oft schwierig.
Aber mit welcher Testmethode misst man nun am besten einen beginnenden oder ausgeprägten Tiefenrausch und setzt das subjektive Gefühl des Probanden in messbare und auswertbare Parameter um?
Geht man dieses Problem streng wissenschaftlich an, führt einen dies zu standardisierten aufwändigen Testverfahren. Ein Problem dieser Tests liegt in dem Zeitaufwand diese durchzuführen, da die Grundzeit auf 50 Meter nur wenige Minuten Zeit lässt, falls man auch noch praktische Übungen oder Demonstrationen in das Schulungsprogramm mit einbeziehen möchte.
Ein anderes Problem stellen die in solchen Tests enthaltenen Aufgabenstellungen dar, die je nach Ausbildung oder persönlicher Begabung mit mehr oder weniger Mühe gelöst werden können und damit nicht repräsentativ für eine objektive Erfassung der Beeinträchtigung sind. Ein tauchender Mathematiker tut sich bei Rechenaufgaben selbstverständlich leichter als der eher musisch oder handwerklich begabter Taucher. Der Test muss also einfach sein, unabhängig von Neigungen und Begabungen, schnell durchführbar, und einfach auszuwerten.
Methode:
Im Druckkammerzentrum Heidelberg wurden über Jahre solche Tieftauchsimulationen mit Tiefenrauschtestung durchgeführt. Nach Anwendung verschiedener Bögen in der Praxis hat man sich in Heidelberg für ein äußerst simples Testverfahren entschieden – ohne Mathematik, Kombinatorik oder längere Lesepassagen. Dementsprechende Testbögen wurden wieder verworfen. Der verwendete Test besteht aus einer Reihe mit unterschiedlichen Großbuchstaben (B, D und P). Oben müssen Vor- und Familienname eingetragen werden und entweder 50 oder 0 Meter – je nachdem, wo der Test durchgeführt wird. Danach gilt es alle B’s zu finden und einzukreisen. Das war’s dann auch schon. Da Leistung jedoch per definitionem Arbeit durch Zeit bedeutet, hat der Taucher genau eine Minute, um dies zu bewerkstelligen. Die genaue Durchführung des Tests wird detailliert im Briefing besprochen, aber nach Erreichen der angestrebten Tauchtiefe nicht mehr wiederholt. Ein Teil der Aufgabe besteht somit auch darin, die an der Oberfläche gebriefte Information auch auf Tiefe wieder abrufen zu können (plan your dive and dive your plan). Im Anschluss an den Druckkammertauchgang wird der gleiche Test (mit veränderter Reihenfolge der Buchstaben oder auch als genau derselbe Test) wiederholt.
Auswertung:
Die Auswertung ist einfach und bezieht mehrere Parameter mit ein: Konzentrationsfähigkeit, Schnelligkeit, Abrufbarkeit von bekannten Informationen und Feinmotorik.
Zunächst werden die gefundenen B's in beiden Testbögen gezählt (50 Meter und an der Oberfläche) und anschließend die Vollständigkeit der Daten (Name, Tiefenangabe) sowie das Schriftbild (Name, Tiefenangabe und Kreise) bewertet. In jedem Test sind 50 Buchstaben „B“ enthalten. Die Anzahl der gefundenen B's an der Oberfläche dient als 100 % -Referenz – egal wie viele gefunden wurden und die Anzahl der auf Tiefe gefundenen B's werden dazu in prozentuale Relation gesetzt. Ein eingekreister falscher Buchstabe wird numerisch von der jeweiligen Summe abgezogen. Das Schriftbild wird auf Größe der Buchstaben und Kreise sowie Leserlichkeit beurteilt.
Beispiel 1:
Der Taucher hat an der Oberfläche alle B's eingekreist (50 = 100 %), seinen Vor- und Zunamen eingetragen und eine korrekte Tiefenangabe (0 Meter) gemacht. Auf Tiefe fand er/sie 45 B's. Er/sie schrieb nur seinen Vornamen ohne Familienname (minus 1 Punkt = 44), hat 2 falsche Buchstaben angekreuzt (minus 2 Punkte = 42) und die Tiefenangabe vergessen (minus 1 Punkt = 41). Das Schriftbild war nicht mehr leserlich oder im Vergleich stark verändert und die Kreise gingen zum Teil über zwei Buchstaben (minus 1 Punkt = 40).
Somit hat er 80 % seines Ausgangsergebnisses erreicht.
Wurden beispielsweise an der Oberfläche nur 45 B's gefunden, gilt dies trotzdem als 100 %-Referenz, denn es soll die Beeinträchtigung durch den Stickstoff gemessen und nicht die kognitive Leistungsfähigkeit an der Oberfläche bewertet werden.
Ergebnisse
Je nachdem wie der prozentuale Unterschied zwischen dem Test auf 50 Meter und dem an der Oberfläche ausfällt, werden die Ergebnisse einem Score zugeordnet (Score minus 1 bis Score 3). Die Scores sagen etwas über die individuelle Beeinträchtigung der Konzentration, Leistungsfähigkeit und Konzentration bei erhöhtem Stickstoffpartialdruck aus.
Score 0:
(Differenz < 10 %) bedeutet eine gleiche Konzentrationsfähigkeit wie an Land. Bei Score minus 1 scheint die Konzentrationsfähigkeit auf Tiefe besser zu sein – auch das gibt es.
Score 1:
(10 % bis 25 % Differenz) bedeutet eine milde Beeinträchtigung, die normalerweise durch mehr Konzentration ausgeglichen werden kann.
Score 2:
(25 %-50 % Differenz) deutet auf eine gravierende Konzentrationsschwäche mit oder ohne Beeinträchtigung der Feinmotorik hin.
Score 3:
(Differenz > 50 %) stellt einen schweren Tiefenrausch dar, der eine reale Aufgabenlösung nicht mehr zulässt und bis zur Handlungsunfähigkeit gehen kann. Unter Wasser sind in diesem Zustand sicher keine verantwortungsvollen Handlungen mehr zu erwarten.
Die Überlegungen hinter dieser Einteilung berücksichtigen zum einen die ungewohnte Umgebung in der Druckkammer, sodass bis zu 10 % Abweichung aufgrund der Ablenkungssituation zugestanden werden muss. Zum anderen weisen Differenzwerte, die diese Grenze überschreiten, jedoch je nach Ausmaß auf eine Beeinträchtigung der Konzentration und/oder der Feinmotorik durch Stickstoff hin. Die Grenzen sind hierbei meist fließend und die Einteilung in Scores gibt im Einzelfall nur einen Anhaltspunkt.
In die Ergebnisauswertung am Druckkammerzentrum Heidelberg gingen insgesamt 369 Taucher in 37 Tauchsimulationen ein. Alle Tauchgänge gingen bis 50 Meter.
Bei den meisten Tauchern ließ sich keine Einschränkung durch den erhöhten Stickstoffpartialdruck nachweisen. Fasst man diese Gruppe (Score 0) mit den Tauchern zusammen, die auf Tiefe sogar besser waren (Score -1), kommt man immerhin auf über 70 %. Andererseits bedeutet dies aber auch, dass fast 30 % der Probanden mehr oder weniger ausgeprägte Anzeichen eines Tiefenrausches hatten. Das heißt, bei immerhin 3 von 10 Tauchern konnte man messbare Einschränkungen der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit nachweisen. Fünf von 369 Tauchern zeigten gravierende Symptome mit Realitätsverlust auf 50 Meter und wurden mit Score 3 bewertet. Manche dieser fünf füllten den Test nur zur Hälfte und manche sogar gar nicht aus. Im ausgeprägtesten Falle wurde der Test sogar als Papierflieger umgebaut, der dann elegant durch die Kammer flog, was hier sicherlich nicht an der guten Falttechnik lag sondern eher an der „dicken Luft“.
Die Korrelation zwischen der eigenen Erfahrung während der Kammerfahrt und den Testergebnissen war bei der Nachbefragung in der Gruppe Score 0 und -1 sowie in der Gruppe Score 2 und 3 in den allermeisten Fällen gut. Lediglich ein Taucher konnte sich an seinen Tiefenrausch gar nicht mehr erinnern (Score 3). In der Gruppe Score 1 traten die meisten Abweichungen auf. In der Mehrheit wurden in dieser Gruppe subjektiv nur selten Anzeichen eines Tiefenrausches bemerkt. Sätze wie „das hätte ich nicht gedacht“ hörte man hier am häufigsten. Angemerkt sei, dass die Befragung nach der eigenen Einschätzung vor Auswertung der Testergebnisse durchgeführt wurde.
Was bedeutet diese Auswertung im Einzelfall für den Taucher?
Zugegebenermaßen im Grunde herzlich wenig, denn die Stickstoffaufsättigung in einer warmen Druckkammer ohne Muskelarbeit durch Bewegung und Flossenschlag ist geringer als beim Tauchen und damit nicht repräsentativ und auf einen Wassertauchgang übertragbar. Zudem ist die Sensibilität für einen Tiefenrausch abhängig von der Tagesform und dem aktuellen Gesundheitszustand des Tauchers. Übermüdung, Dehydration, Alkoholgenuss etc. begünstigen das Auftreten einer Stickstoffnarkose. Differenziert man den Aussagewert einer solchen Tiefenrauschtestung innerhalb der einzelnen Score-Gruppen, könnte man jedoch folgende Aussagen treffen:
Score -1 und 0:
Selbst wenn in einer Druckkammer keine Symptome vorhanden waren, ist dies kein 50 Meter-TÜV!
Score 1:
a) Gibt es in einer Druckkammer schon erste Anzeichen, sind diese im Wasser unter Umständen viel stärker ausgeprägt.
b) Die Selbsteinschätzung ist hier nur wenig verlässlich und oft unzureichend
Score 2 und 3:
Je nach taucherischem Erfahrungs- und Ausbildungsstand besser noch nicht oder nie tiefere Tauchgänge anstreben