Kaltwassertauchen
Kaltwasser ist nichts für Warmduscher
Tauchen ist ein Sport, der das ganze Jahr über ausgeübt werden kann. In unseren Breiten bringt dies besondere Herausforderungen für Taucher und ihre Ausrüstung mit sich. Bereits bei Wassertemperaturen von unter 10-15 Grad Celsius spricht man von einem Kaltwassertauchgang. Solche Bedingungen erfordern nicht nur eine speziell angepasste Ausrüstung, sondern auch das Wissen um einige physikalische, physiologische und medizinische Besonderheiten. Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Aspekte des Sporttauchens in kalten Gewässern.
Physikalische Aspekte
Viskosität und Dichte des Wassers
Kälteres Wasser hat eine höhere Dichte und Viskosität als warmes Wasser. Dies bedeutet, dass Taucher in kaltem Wasser bei gleicher Konfiguration mehr Blei benötigen als in warmen Gewässern.
Beleuchtung und Sichtverhältnisse
Die Sichtverhältnisse in kalten Gewässern können durch Trübungen und Lichtverhältnisse stark eingeschränkt sein. Gute Lichtquellen sind daher unerlässlich, um eine gute Sicht zu gewährleisten und Sicherheitsprobleme zu vermeiden. Kälte und Dunkelheit in Kombination werden von den meisten Menschen zudem als bedrohlich wahrgenommen und können bei z. B. technischen oder medizinischen Problemen schneller Panik verursachen.
Gerätetechnische Aspekte
Tauchanzüge
Zum Tauchen in kalten Gewässern sind spezielle Anzüge erforderlich, die einen hohen Grad an Isolierung bieten. Für Kaltwassertauchgänge sollte ein Trockentauchanzug verwendet werden. Beheizbare Unterzieher sind ebenfalls sehr empfehlenswert, jedoch teuer und können bei falscher Nutzung sogar gefährlich sein (siehe weiter unten).
Atemregler
Atemregler müssen für den Einsatz in kalten Gewässern speziell ausgelegt sein, um das Risiko des Einfrierens zu minimieren. Solche Regler sind oft mit wärmeleitenden Materialien und speziellen Konstruktionen ausgestattet, die das Gefrieren von Wasser verhindern. Ein erhöhter Atemwiderstand kann bei schlecht gewarteten Atemreglern auftreten oder ganz besonders häufig bei Kreislaufgeräten mit im Rückenbereich montierten Gegenlungen. Wenn die Gegenlungen am Rücken befestigt sind, entsteht ein Druckunterschied zwischen der Lunge und den Gegenlungen, was das Einatmen erschwert. Diese Konfiguration wird häufig als eine der Ursachen für das Immersionslungenödem angesehen (siehe weiter unten).
Tauchcomputer und Instrumente
Tauchcomputer und andere Instrumente müssen in der Lage sein, bei niedrigen Temperaturen zuverlässig zu arbeiten. Dies umfasst robustere Batterien und Gehäuse, die für extreme Bedingungen ausgelegt sind. Das Hauptproblem liegt jedoch häufig bei den Nutzern selbst. Viele Taucher sind sich der verfügbaren Einstellungsmöglichkeiten nicht bewusst und belassen den Computer daher in der meist am wenigsten konservativen „Industrieeinstellung“. Bei anstrengenden Tauchgängen, Wiederholungstauchgängen und Tauchgängen unter besonderen Bedingungen, wie eben das Kaltwassertauchen, sollte der Algorithmus des Tauchcomputers daher unbedingt auf eine konservativere Einstellung angepasst werden.
Sicherheit und Ausbildung
Tauchplanung und Risikomanagement
Eine sorgfältige Planung ist entscheidend für das Tauchen in kalten Gewässern. Dazu zählt das Verständnis der spezifischen Risiken und die Durchführung von Risikomanagementstrategien einschließlich der Wahl geeigneter Ausrüstung und Notfallpläne.
Ausbildung und Übung
Taucher, die in kalten Gewässern tauchen möchten, sollten spezielle Schulungen absolvieren, die ihnen helfen, die einzigartigen Herausforderungen zu meistern. Dazu gehören Kurse, welche die Handhabung von Trockentauchanzügen, das Notfallmanagement und spezielle Rettungstechniken abdecken.
Buddy-System
Das Buddy-System, bei dem Taucher immer in Paaren tauchen, ist in kalten Gewässern besonders wichtig, denn es stellt sicher, dass das Risiko eines Notfalls minimiert wird und im Fall der Fälle schnell Hilfe geleistet werden kann. Es empfiehlt sich, eventuelle Notfälle vor den Tauchgängen durchzusprechen und nach dem Abtauchen noch einen Ausrüstungs- und Buddy-Check durchzuführen (zusätzlich zum Sicherheitscheck vor dem Tauchgang).
Medizinische Aspekte
Apnoetaucher und Gerätetaucher müssen besondere Vorkehrungen treffen, wenn sie Kaltwassertauchgänge durchführen möchten. Physikalische und medizinische Faktoren betreffen sie jedoch in unterschiedlicher Ausprägung.
Kälteschock und Hypothermie
Der menschliche Körper reagiert empfindlich auf Kälte. Beim Eintauchen in kaltes Wasser ohne entsprechenden Kälteschutz besteht die Gefahr eines Kälteschocks, der durch die plötzliche Abkühlung der Haut ausgelöst wird, typischerweise bei Temperaturen unter 15 Grad Celsius. Dies kann zu einem unkontrollierten Atemreflex, Herzrhythmusstörungen und im schlimmsten Fall zum Ertrinken führen.
INFO-BOX 1: Ein Kälteschock ist gekennzeichnet durch:
- Hyperventilation: Ein plötzliches, unkontrolliertes Beschleunigen der Atmung kann die Atemkontrolle erschweren und das Risiko zu ertrinken erhöhen.
- Tachykardie: Die Kombination eines beschleunigten Herzschlags zusammen mit Kälte, körperlicher Anstrengung und der Druckbelastung beim Tauchen kann Herzrhythmusstörungen begünstigen. Diese können von harmlosen Extrasystolen bis zu lebensbedrohlichen Arrhythmien reichen.
- Periphere Vasokonstriktion: Die Blutgefäße in der Haut ziehen sich in kalter Umgebung zusammen, um Wärmeverlust zu reduzieren, was den Blutdruck erhöht und die Herz-Kreislauf-Belastung steigert. Dies stellt eine zusätzliche Belastung für das Herz dar und kann bei anfälligen Personen Herz-Kreislauf-Ereignisse wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle auslösen.
Hypothermie (Unterkühlung) tritt ein, wenn die Körpertemperatur unter 35 Grad Celsius sinkt. Die Symptome reichen von Zittern und Koordinationsverlust bis hin zu Bewusstlosigkeit und Tod. Taucher müssen daher Maßnahmen ergreifen, um warm zu bleiben, z. B. durch geeignete Schutzanzüge oder aktive Heizsysteme. Der Kälteschutz muss an die Wassertemperatur und die geplante Dauer des Tauchgangs angepasst sein.
Bei der Verwendung von Heizsystemen ist jedoch darauf zu achten, dass ausreichend Akkuleistung zur Verfügung steht. Ein Ausfall der Heizung beim Auftauchen kann eine Dekompressionserkrankung fördern. Falls möglich, sollte die Heizung besser erst beim Auftauchen aktiviert werden, da Kälte in der Tiefe zu einer geringeren Stickstoffaufnahme beiträgt, was in diesem Fall wünschenswert ist.
Der Wärmeverlust im kalten Wasser ist deutlich höher als in der Luft, da Wasser Wärme etwa 25-mal schneller leitet. Der menschliche Körper kann zu Beginn des Kaltwasseraufenthaltes die Wärmeabgabe jedoch auf das 3-5-Fache gegenüber Luft drosseln. Erst wenn diese Mechanismen versagen, kühlt der Körper 25-mal schneller aus als in der Luft. Die Symptome der Hypothermie entwickeln sich in Phasen (siehe INFO-BOX 2).
Interessanter Fakt: Es geht über den Kopf nicht mehr Wärme verloren als über den Rest des Körpers. Hierbei handelt es sich um einen Mythos.
INFO-BOX 2: Die drei Phasen der Hypothermie:
- Leichte Hypothermie (35–32 Grad Celsius):
• Zittern – Körper hat noch genug Reserven, um sich selbst zu erwärmen
• Kältegefühl
• Koordinationsverlust
• Leichte Verwirrtheit - Mäßige Hypothermie (32–28 Grad Celsius):
• Stärkeres Zittern oder Zittern hört auf (Reserven sind verbraucht, Erwärmung ist nur noch aktiv von Außen möglich.
• Deutliche Verwirrtheit
• Schläfrigkeit
• Sprachstörungen
• Schwacher Puls - Schwere Hypothermie (unter 28 Grad Celsius):
• Bewusstlosigkeit
• Herzrhythmusstörungen
• Atemstillstand
• Lebensgefahr
Dekompressionskrankheit
Erhöhtes Risiko in kalten Gewässern
Die Dekompressionskrankheit (DCS) tritt auf, wenn gelöste Gase (hauptsächlich Stickstoff) während des Auftauchens aus den Geweben ausgasen und Blasen bilden. Kalte Temperaturen können dieses Risiko erhöhen durch:
- Reduzierte Gewebeperfusion: Kälte verlangsamt die Durchblutung und somit die Elimination von Stickstoff, allerdings nimmt ein gekühlter Körper dadurch auch weniger Stickstoff auf.
- Erhöhte Atemgasdichte: Kalte Luft ist dichter, was die Atemarbeit erhöht und die Aufnahme von Stickstoff in den Körper begünstigt.
Prävention
Um das Risiko der DCS zu minimieren, sollten Taucher in kalten Gewässern längere und konservativere Dekompressionsstopps einplanen und darauf achten, die empfohlenen Aufstiegsgeschwindigkeiten strikt einzuhalten. Viele Taucher gehen noch immer davon aus, dass es zu keiner DCS kommen kann, wenn sie innerhalb der Limits tauchen. Dies ist falsch. Das Risiko einer DCS steigt kontinuierlich an, je näher man sich den Limits annähert und wird sehr wahrscheinlich, wenn man diese überschreitet. Körperliche Anstrengung, heiß Duschen oder Sauna um sich aufzuwärmen ist nach einem Kaltwassertauchgang keine gute Idee, da dies das Auftreten einer DCS fördern kann, also: Nichts für Warmduscher.
Barotrauma
Druckausgleich
Kaltwassertauchen stellt besondere Herausforderungen für den Druckausgleich im Körper dar, was das Risiko für ein Barotrauma erhöht. Bei Tauchgängen in kaltem Wasser können die Eustachischen Röhren durch die Kälte verengen, was den Druckausgleich erschwert. Dies kann zu schmerzhaften und potenziell ernsthaften Verletzungen führen. Insbesondere das Mittelohrbarotrauma, welches sich durch Schmerzen und im schlimmsten Fall durch einen Trommelfellriss äußern kann, sowie das Sinusbarotrauma, bei dem es zu Schmerzen und möglichen Blutungen in den Nebenhöhlen kommen kann, sind häufige Probleme.
Prävention
Ein regelmäßiger und sorgfältiger Druckausgleich ist insbesondere während des Abstiegs unerlässlich. Taucher sollten auf Anzeichen von Druckproblemen achten und den Tauchgang abbrechen, wenn sie Schwierigkeiten beim Druckausgleich bemerken.
Immersionslungenödem
Ein ernstes und zunehmend häufiges Problem ist das Immersionspulmonalödem (IPO), das auftritt, wenn Flüssigkeit vom Körper in die Lungen übertritt. Dies geschieht oft durch eine Kombination von Kälte und körperlicher Anstrengung. Neben der Kälte zählen vor allem Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den gefährlichsten Risikofaktoren. Im Gegensatz zur Dekompressionserkrankung kann auch eine zu hohe Flüssigkeitszufuhr als potenzieller Risikofaktor für ein Lungenödem gelten. Zudem sollten die bereits erwähnten Kreislaufgeräte mit Gegenlunge im Rückenbereich berücksichtigt werden. Die Symptome eines IPOs umfassen:
- Atemnot: Plötzliche und schwere Atemnot während oder nach dem Tauchen.
- Husten mit schaumigem, manchmal blutigem Auswurf.
- Brustschmerzen: Engegefühl in der Brust.
Eine Folge dieser Symptome ist häufig ein Panikaufstieg zur Oberfläche mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Das Immersionslungenödem wird häufig nicht richtig erkannt und viele Taucher achten auch leider zu wenig auf einen korrekt eingestellten Blutdruck. Ein IPO kann lebensbedrohlich sein und erfordert sofortige ärztliche Behandlung. Betroffene Taucher sollten das Wasser sofort verlassen und ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Schlussfolgerung
Tauchen in kalten Gewässern stellt eine erhebliche Herausforderung im Vergleich zum Tauchen in warmen Gewässern dar und erfordert ein fundiertes Wissen sowie sorgfältige Vorbereitung. Ein Bewusstsein für die potenziellen Gesundheitsrisiken, eine geeignete Ausbildung und die richtige Ausrüstung sind entscheidend, um die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Durch die Beachtung der genannten Faktoren kann jeder Taucher die faszinierenden und oft unberührten Unterwasserwelten kalter Gewässer entspannt genießen.
Autor: Dr. med. Holger Ferstl
MHW/ aqua med Medical Board, Facharzt für Allgemein-, Notfall- und Tauchmedizin, 2024